Sunday, August 27, 2006

Teil V

Wegen allgemeiner Gefühlsduselei fällt die Dezember- Ausgabe aus!

Das Schöne am neuen Jahr, ist das alles erstmal so weiter geht wie im alten. Es regnet immer noch, die Enten schwimmen immer noch auf der Wiese. Ich habe immer noch existenzielle Nöte, die immer noch versprechen im nächsten Monat besser zu werden.
Das Schöne ist die Hoffnung daran, dass es doch mal aufhören m ü ß t e zu regnen. Die Enten wieder in den Fluss zurückkehren, in dem sie gehören und im letzteren Fall, die Hoffnung aufhört nur eine Hoffnung zu sein und sich ganz materialistisch in Form eines nicht überzogenen Kontos zeigt.
Ein Fluß der über die Ufer tritt, ist keiner mehr. Es ist eine stehende Wasserfläche, die nur rein optisch ihre Reize hat. Für mich auch ein Sinnbild dessen, dass das von dem glaubt es sei fester Boden sich sehr schnell in einen matschigen See verwandeln kann. Daraus lern ich. Was lerne ich daraus? Das Gummi-Stiefel unentbehrlich sind, wenn man nicht dauernd nasse Füße haben will, mit den daraus resultierenden Unannehmlichkeiten. Die Nähe zu den Naturgewalten ist nur dann spannend, wenn man gerade nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Mit nasskalten Füßen den schlammigen Untergrund zu erkunden, kann eine sehr erhebende oder besser, erdende, Erfahrung sein. Auf körperlicher Ebene, die Zähigkeit des Vorankommens verdeutlichen. Die nasse Erde hält einen fest, beharrt darauf die Aufmerksamkeit noch mal auf den letzten Schritt zu lenken und verhindert auf jeden Fall das zu weite Vorrausschauen. Damit ist ein Übersehen dessen was direkt vor einem liegt verunmöglicht.
Ja,ja, ich weiß. Etwas metaphysisch. Doch Kolleginnen zwangen mich gerade, mich mal wieder mit der Astrologie zu beschäftigen und das ist das was dabei herauskommt…, matschige Ansichten. Sehr neptunisch/saturnisch das Ganze. Doch bevor ich mich selbst gänzlich auflösend verbreitere, möchte ich mich für das bekundete freundliche Interesse an meinen Rundbriefen bedanken!
Es liest sie wer sie lesen mag, wer nicht soll sich was anderes mit auf’s Klo nehmen.
Mit dem alten Jahr sind auch die Gänse gegangen. In die Bratröhre sind sie gewandert, zur Freude hungriger Menschen. Wie wohl der bösartige Gänserich geschmeckt haben mag? Nach Ansicht mancher so genannter Naturvölker gehen ja die Eigenschaften des Erlegten und dann verspeisten Tieres auf den Verspeiser über. Demnach müssten F.s Tafelgäste nach Genuss des Mahles alle gezischt haben und ein unwiderstehliches Verlangen verspürt haben, jemanden in die Waden zu zwicken. Manche familiäre Weihnachtstreitigkeit mag sich daraus erklären lassen.
Ich jedenfalls, habe keine Gans zu Weihnachten gegessen, sondern panierten Karpfen, eine Böhmische Spezialität, die mir in Prag serviert wurde. Daher vielleicht mein träge, offenmündiges Staunen über die wässrige Welt.
Ach, von wegen offenmündig. Seit drei Wochen nun bin ich Mitsängerin im „Kleinen Chor Fischerhude“.
Das erste Mal werde ich nicht vergessen… um mich herum, im kleinen Gemeindesaal, lauter graumelierte Häupter. Von den vorhandenen ca. 25, ich eine der 6, deren Haar noch Farbpigmenten besaß. Wahldorf-Lehrer säumten ihren Weg…
Ein Greogorianisches-Geschleife singen müssend, ohne Noten lesen zu können, ohne zu wissen ob Sopran oder Alt, ohne eine gelinde Ahnung des Russischen, mit diesen mir völlig Fremden Stimmerprobten, war schon eine große Herausforderung!
Ich stand auf der Grenze zwischen Alt und Sopran und dachte mir, das wäre gut so, da ich mich im Verlaufe des Singens schneller entscheiden könnte, welche Stimmlage ich wohl eher treffe. Was dabei heraus kam war, dass ich den Sopran-Teil mit der Alt-Stimme sang, was mir irritierte Blicke von rechts, links und vorne eintrug.
Tja, an der Grenze zu stehen ist nicht immer einfach. Zum Schluss kroch ich meiner Alt-Nachbarin förmlich in den Mund, um einigermaßen ermitteln zu können wo ich wohl längs singen müsste. Auf jeden Fall haben sie mich nicht gleich ‚rausgeschmissen. Abgesehen davon, das dies für ihre Toleranz spricht, habe ich wohl wenigstens nicht allzu laut falsch gesungen.
Doch es ist schön, die eigene Stimme zu den anderen hinzuzufügen. Den eigenen, stimmlichen, Ort zu finden, in Oktaven, von den anderen abzusetzen, jedoch nicht, um etwas völlig anderes zu singen, sondern das selbe Lied quasi durch andere Aspekte zu vervollständigen.

Februar und März 1994

Seit wenigen Wochen, trotz endlich eingekehrtem Winterwetter, verkündet die Tierwelt den Frühling. Die Kohl-Meisen verschmähen nach und nach die leckeren Meisenknödel vor meinem Fenster. Bedanken sich jedoch für die bisherige Fütterung mit liedvollen Einlagen .
Unlängst, als ich mich zwischen Winterschlaf und Frühjahrsmüdigkeit im Bett wälzte, beobachtete ich eine Meise, die auf einem nicht vorhandenen Vorsprung neben dem Schlafzimmerfenster kauerte. Jeder Kletterer wäre vor Neid ob ihrer Leistung verblasst! Sie blickte mir direkt ins Bett und überlegte ganz offensichtlich, wie es wohl wäre, dort ihr Nest einzurichten. Abgesehen vom nicht vorhandenen Vorsprung wäre es überhaupt der Platz für ein Nest. Es ist die absolut Wind- und Wetter geschützteste Ecke am ganzen Haus. Doch sie entschied sich dagegen, vielleicht aus moralischen Gründen, da ja auch ihr Nachwuchs mir allzeit ins Bett blicken könnte.
Unsere Katze nun hin wieder rum hat es nicht so mit der Moral. The queen is calling, nennen die Engländer das, was unsere Katze für circa zwei Wochen befiel und treffender kann man es nicht bezeichnen. Sie sang ein sehr zu Herzen gehendes Lied, dass eigentlich jeden Kater im Umkreis von 10 km hätte anlocken müssen. Doch zu ihrem Leidwesen war es bitter kalt und die potentiellen Liebhaber kockten wohl lieber hinter warmen Öften als ihrem Ruf zu folgen. Sie hatte jedoch einen Galan der ihr trotz widriger Witterung überall hin folgte und so manches Duett mit ihr sang.
Eines Morgens, ich putzte mir gerade die Zähne, dabei laufe ich gerne in der Wohnung herum, entdeckte ich auf der schneebedeckten Treppe vor dem Haus „queen!“ mit zwei Herren ihrer Gattung. Es war ein wirklich spannendes Schauspiel. Auf der oberen Treppe hockte der weiße Kater mit grauem Schwanz und starrte seine Angebetete aus liebestollen Augen an. Unten saß ein ansehnlicher schwarzer Kater mit weißem Latz, der sehr gentlemen like aufrecht saß, als warte er auf eine klare Einladung. In der Mitte, sie, gefleckt, schon etwas ermüdet, die Nacht war lang gewesen. Sie konnte sich nicht entscheiden, wem sie ihre Gunst schenken sollte.
Zwischen den drei Katzen herrschte eine Spannung, die ich hinter meinem Fenster 30m weiter hockend, förmlich fühlen konnte. Dallas ist nichts dagegen. Sie drehte erst dem weißen Kater dezent ihre Rückseite zu, um dann als er vorsichtig schnuppernd ihren Duft einsog, sich plötzlich ihm ab- und dem anderen Kater zu zuwenden. Doch der gentlemen spürte ihre Ambivalenz und blieb weiterhin ruhig hocken. Als sei er seiner Sache viel zu gewiss, um seine Chance durch eventuelles voreiliges Handeln zu verderben. Das Schauspiel wurde durch queen beendet. Sie verließ eilig die Bühne, um einen verschwiegeneren Ort für ihre Liebesspiele zu suchen und ich konnte endlich meinen Mund ausspülen gehen.


An einem anderen Morgen, der um einiges wärmer war, hörte ich wie die Entenpaare sich darüber stritten, wer in diesem Jahr im Entenhaus wohnen dürfe. ( Die gibt es nur in Fischerhude. Warum wird ein anderes Mal erzählt) Es ging hoch her und man konnte dem wütendem Geshnatter durchaus entnehmen, dass es wohl keine gütliche Einigung geben würde.
Ihr denkt bestimmt, dass es sehr ruhig hier ist im Winter. Doch das ist ein Irrtum.
Januar und Februar sind die Monate in denen die alte Sitte der „Kohlfahrten“ begangen wird. Die Entstehung dieser Sitte liegt scheinbar so weit in grauer Vorzeit, dass kein Einheimischer mir bisher ihre Entstehung und ihren Sinn erklären konnte. Jedenfalls ziehen zu dieser Jahreszeit, Gruppen zwischen 10 und 20 Personen, mit einem Bollerwagen, der mit Grünkohl und vor allem Korn beladen ist, durch die Landschaft. Alle paar Meter wird stehen geblieben, manche Stimmgewaltigen schlagen dann ein gegröltes Lied an und besänftigen dann die aufgerauhten Stimmbänder mit einem hochprozentigem Getränk, um nach kurzem Aufenthalt, vor meinem Fenster zum Beispiel, weiter zu ziehen. Denn Fischerhude ist auf für „Kohlfahrten“ ein beliebter Ausflugsort. Am Ender einer jeden Fahrt steht die Einkehr in eine Gaststätte, in der dann Unmengen von Grünkohl mit Pinkel, dem Bremischen Nationalgericht, verzehrt und noch mehr Korn gekippt wird.
Wahrscheinlich hat der Ursprung dieses Brauches etwas damit zu tun der Natur zu beweisen, dass das Leben in Form von Kohl und Korn auch im Winter weitergeht. Ähnlich wie die Rheinländer zur Faschingszeit den winterlichen Geist austreiben, mögen die Umzu-Bremer somit ihrer Freude über das Durchleben- können der Wintermonate kund tun. Bei so einer schweren und fetten Mahlzeit und soviel durch Alkohol erzeugte Wärme, hat man der kalten Jahreszeit wahrlich einiges entgegenzuhalten. Vor allem dicke Bäuche!

März 1994
Fischerhude/Quelkhorn

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